www.uni-frankfurt.de/~tiemann: Änderungsstand 13.09.2003,31.3.2004
Rainer Tiemann
Methodologie
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (FB03)
Universität Frankfurt am Main (JWGU)
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Der Veranstalter läßt seine Kurse (hier GM1 im SS 2003) nicht gerne so ganz sang- und klanglos auslaufen und mit dem Schock einer Klausur so einfach beenden. Daher hatte er zum letzten Veranstaltungstermin auch dieses Kurses einige Gedanken zusammengefaßt, die bereits im Kursbericht (BAGM03o, Seite 2) reproduziert sind; deren Re-Reproduktion in diesem Rahmen hier ihm sinnvoll erscheint, zumal er sich selbst nun auf Reisen begibt:

"Nachtrag zum letzten Veranstaltungstermin vor der Klausur"

Der Veranstalter hat da einige "Abschließende Bemerkungen zu einem sehr kurzen - inhaltlich isolierten - Methodenkurs GM1 als 'Statistik' im Sommersemester" vorgetragen, von denen er denkt, daß sie denen, die damals nicht anwesend sein konnten, nicht vorzuenthalten seien. Sie sind hier ohne weitere Bearbeitung entsprechend seinen damaligen am Tagesgeschehen° des Sommers 2003 orientierten Notizen wiedergegeben.

Die Drohung "statistics at its worst", wie im Merkblatt (03o1inf) zu Semesteranfang angekündigt, habe ich nun doch nicht eingehalten. Ich bringe das offenbar nicht übers Herz, obwohl da manche ganz froh gewesen wären. Ich habe versucht, Konzepte zu vermitteln, mit denen man soziale Wirklichkeit als in GM2 gesammelte Informationen untersuchen kann: beschreiben, vermuten. Ab und zu - zu Anfang öfter, dann seltener - Methoden als Lebenshilfe bzw als Werkzeug, mit Alltagsereignissen umzugehen, mit Blick in die Tagespresse. Das war zuletzt der Homogenisierungsansatz bezüglich "blonder deutscher ultranationalistischer Touristen" in Italien. Da hat man dann in der wirklichen Wirklichkeit gesehen, daß der Homogenisierungseffekt - beruhigenderweise - eben doch nicht so groß war. Die normalen Menschen in beiden Gesellschaften haben heterogen genug - differenziert genug - die Dinge gesehen und sich nicht in Schubladen packen lassen.

Bringt es überhaupt irgendeinen Sinn, daß es Methoden- / Statistik-Kurse hier am Fachbereich Sozialwissenschaften, für Soziologen und Politologen gibt?

JAAAA - da bin ich mir trotz aller Widrigkeiten, denen man so im Laufe dieser Kurse begegnet, ganz sicher; trotz aller Irritationen, denen auch jemand wie ich ausgeliefert ist. Kurse als Methodenkurse verstanden, nicht einfach als Statistik, können - könnten zumindest - eine Art systematischen Umgangs aufzeigen mit dem was uns so umgibt - soziale Wirklichkeit in Hülle und Fülle (siehe auch Vorbemerkung zu der "ergänzenden Übung zum Kursende" (03o1u12)).
Gewiß, nicht jeder kann etwas mit mit solch einem Konzept anfangen.
Aber ich versuche, dafür zu werben.
Daß GM1/GM2 Zwangsveranstaltungen sind, ist bedauerlich. Aber vielleicht wären manche, die unseren Kurs am Schluß dann doch noch ganz erträglich, vielleicht sogar irgendwie interessant fanden, sonst nicht gekommen - und das wäre schade gewesen !

Ich wünsche Ihnen allen zunächst die hilfreiche Ruhe des verständigen Umgangs mit der Klausur nachher. Und dann wünsche ich Ihnen noch einen weiteren schönen erlebnisreichen Sommer.
Lassen Sie sich nicht irre machen. Fallen Sie ruhig ein ins vielfältige - heterogene - Italien. Die soziale Wirklichkeit von 25 Jahrhunderten wartet dort auf Sie. Na gut, auf Napoleons Soldaten blickten damals - 1798 - 40 Jahrhunderte von den Pyramiden herab - aber Napoleon hatte eine ganze Meute Wissenschaftler nach Ägypten mitgebracht, die dann letztlich u.a. die Hieroglyphen entschlüsselt haben. Da gibt es Unterschiede zum Tagesgeschehen.

Reisen bildet.
Sie werden Gleichartigkeiten und bereichernd Unterschiedliches entdecken. Sie werden Gleichsinnigkeiten und Gegensinnigkeiten entdecken. Sie können darüber nachdenken, ob zwei Gesellschaften denn wirklich unterschiedliche Grundgesamtheiten darstellen - wie manche Politiker uns das immer wieder gern weismachen wollen - oder ob die beiden Gesellschaften nicht doch eher Varianten sozialer Wirklichkeit aus einer gemeinsamen Grundgesamtheit der Menschheit sind.

Also, reisen Sie und schauen Sie sich die soziale Wirklichkeit an. Egal wo. Ein aufgeschlossener Sozialwissenschaftler sieht immer etwas Neues und ist stets im Dienst.

R.T.

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° Dazu sei an das Tagesgeschehen des Sommers 2003 - im Journalismus spricht man von 'saurer Gurken-Zeit' - erinnert, ohne daß man sich daran auf Dauer erinnern müßte.
Der Vorsitz in der Europäischen Gemeinschaft war turnusmäßig an die Republik Italien, vertreten durch ihren Ministerpräsidenten, gegangen, der sich den Abgeordneten des Europaparlaments in Straßburg vorstellte. Dort ist er, ein ausgewiesener Vertreter rechter Politik, von einem Parlamentarier, der sich als ausgewiesener Vertreter linker Politik verstand, wegen einiger Aspekte seiner politischen Vergangenheit und seines derzeitigen politischen Handelns hart angegangen worden. Das veranlaßte einerseits den neuen Vorsitzenden zu einer historisch delikaten Bemerkung, hinterher von ihm als 'römische Ironie' bezeichnet. Andererseits versetzte er damit das Parlament, sowie nicht nur die Regierung Deutschlands, wo der Abgeordnete herstammte, in Aufruhr (französisch: tollé, daraus 'Tollhaus').
Der erste Akt endete damit, daß aus staatspolitischer Raison der deutsche Regierungschef sich veranlaßt sah, seinen üblichen Italienurlaub abzusagen. Der zweite Akt bestand in dem hier in diesem Beitrag zitierten Hinweis auf deutsche Touristen, sinnigerweise vom italienischen Staatssekretär für Tourismus fallen gelassen. In der Folge nutzten einschlägige Journale und Privatfernsehsender - mit Ausnahme der dem italienischen Ministerpräsidenten gehörenden - diese Ereignisse dankbar, die erwähnte Saure-Gurken-Zeit im Sommerloch zu stopfen. Was in früheren Zeiten zum Aufmarsch von Divisionen, altitalienisch 'casus belli', humaner zu Duellen, geführt hätte, hatte den Veranstalter ganz friedlich zur Nutzung in seinem Methodenkurs verführt.

Ganz aktuell (Ende August 2003) dazu - ohne Verantwortung für Link noch Inhalt, rein wissenschaftlich akademisch, daher mit der Frage verbunden, was das mit Methoden empirischer Sozialforschung, Statistik gar, auf sich haben könnte und wo der Unterschied zum Entertainment fließt in www.spiegel.de/reise/aktuell



oder kürzer in Frankfurter Rundschau:

"Deutsche unverschämt
LONDON (dpa). Nur deutsche Touristen verhalten sich im Ausland noch unverschämter als die Briten. Das geht nach britischen Medienberichten vom Donnerstag aus einer Umfrage unter etwa 1000 Tourismus-Angestellten in verschiedenen Urlaubsländern hervor. 23 Prozent der Befragten aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe fanden deutsche Urlauber am "ungehobeltsten"; sie fänden immer etwas, worüber sie meckern könnten. Auf Platz zwei der Unverschämtheitsskala folgen britische Touristen ("arrogant, dumm, betrunken") vor Amerikanern und Franzosen."

(FR 29.8.2003, Seite 40 "Aus aller Welt" rechts mitte)


oder noch kürzer im Hessischen Rundfunk (HR2) am 3.9.2003, um 7:45

Die Deutschen und juristische Aspekte von Reklamationen beim Reiseveranstalter:
Morgengespräch eines HR-Redakteurs mit einem auf Reiserechtsfragen spezialisierten Rechtsanwalt über Beschwerden gegenüber dem Reiseveranstalter bei vom Kunden vermuteter Nicht-Erfüllung von Katalogversprechen.
Das Ende des Gesprächs war etwa so:
Redakteur: Aha, man muß also spätestens 4 Wochen nach Entdecken des Manko sich beschwert haben. Nun gibt es ja wirklich Leute, die es darauf anlegen, sich zu beschweren, und dann ein hübsches Sümmchen Schadensersatz rausschlagen. Da sind die Deutschen ja wohl mal wieder Weltmeister.
Rechtsanwalt: Hm [räusper], es gibt dazu keine vergleichenden Studien. Aber wenn die Deutschen bekanntlich Weltmeister im Reisen sind, dann werden sie wohl auch Weltmeister im Reklamieren sein.

Anmerkungen dazu vom Methodiker:
1. KEINE Anmerkungen über Journalisten, seien es schreibende oder sprechende.
2. Wie würde der Redakteur diese von ihm vermutete Soziale Wirklichkeit in der von R.T. propagierten Idealform Sozialer Wirklichkeit darstellen?
3. Der Rechtsanwalt hat möglicherweise keinen Methodenkurs bei R.T. besucht. Aber die rechten natürlichen Voraussetzungen für Methodenverständnis hat er wohl. Damit macht er - taktvoll - auf die üblichen auch hier erlebten journalistischen Verallgemeinerungstendenzen (methodologisch sprächen wir von Homogenisierungsversuchen) aufmerksam:
3a. Wie würde man methodologisch (datenanalytisch, statistisch) die Aussage des Rechtsanwalts zum Weltmeister formulieren können?
3b. Seine erste Anmerkung (über Studien) zur Aussage des Redakteurs siedelt er auf dem Methodenniveau des Journalisten an - der Redakteur hätte ihn vielleicht falsch verstanden und aus eigener Methodenignoranz die anwältliche Anmerkung voreilig als Kompetenzmangel ausgelegt.
Wie hätte der Rechtsanwalt unter Methodikern die empirische Situation zur Reisebeschwerdeforschung formuliert?

Zum Schluß: "Weltmeister" - da böte sich inhaltsanalytische Forschung zur Nutzung dieses Wortes (Pragmatik) im Sprachgebrauch deutscher Öffentlichkeit an, vielleicht im Zeitraum ab 1953 bis 2003, eventuell mit erhellender Subgruppenbildung bis 1989 und ab 1990.
(Korrigierender Zusatz vom 31.3.2004: R.T. - auf dem Gebiet, das er hier meint, sich nicht gerade als Experten verstehend, hat sich vertan. Das mit dem "Weltmeister" war wohl erst 1954 (und dann eben bis 2004). BILD sei Dank, hat er es heute, ungedopt, gemerkt.)
Man erkennt: die Diplomarbeitsthemen liegen in der Luft - oder auf der Straße. Man muß sie nur fassen.
(Ergänzt am 13.9.2003)


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