www.uni-frankfurt.de/~tiemann: Änderungsstand 14.2.2020/6.3.
Rainer Tiemann
Methodologie
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften (FB03)
Universität Frankfurt am Main (JWGU)
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Grundkurs Methoden empirischer Sozialforschung mit Statistik FK1/GM1, WS 2009/10:


Den Methodenkurs (mit Statistik)

FK1/GM1 des WS 2009/10

nach der Abschlußklausur beendende Grundsatzansprache

zu etwa 40 doch noch mal gekommenen Kursteilnehmern

 

„Hier wird Wissen Wirklichkeit“ – damit präsentiert sich die inzwischen nur noch als Goethe-Universität firmierende Johann-Wolfgang-Goethe Universität – der einzigen in – zu Frankfurt am Main.

Wissensvermittlung, Ausbildung, Bildung?

Sapere aude!“ - hat Immanuel Kant gesagt, also „wage Wissen“, oder grammatikalisch sauberer „wage zu wissen“, was inhaltlich nicht ganz die gleiche Bedeutung hat.

Gewissermaßen „mach Dich schlau!“ – so steht das übrigens auf jeder zweiten Seite des Koran, nur hält sich nicht jeder daran.

Aber Roms große Universität leitet ihren Namen „Università degli studi di Roma La Sapienzia“ vom altitalienischen sapientia im Sinne von Weisheit ab. Wissen allein ist wertfrei – unmoralisch sollte es nicht sein, einfach a-moralisch. Wissen ohne Wissen gebrauchen zu wissen, ist Verantwortungslosigkeit, und wie man aus der Historie weiß, auch allzu oft unmoralisch dann (lesen Sie HES I&II, „Texte zum Umgang“, t910). Somit verbietet es sich von selbst, an einem gesellschaftswissenschaftlichen Fachbereich einfach Statistik zu lehren, formelhaft.

Den Stoff dieses Kurses hätte ich (rt) in zwei bis vier Wochen maximal Ihnen vortragen – aber nicht vermitteln können. Sie, die Kursteilnehmer, hätten ihn – gegebenenfalls auch auswendig - lernen können, aber damit verständig umgehen, hätten Sie nicht auf diese Weise lernen können. Das hätten Sie sich selbst erarbeiten müssen – und viele von Ihnen haben es durchaus getan. Sie müssen den Stoff erfahren, selbst. Erfahrung kann man Ihnen nicht vortragen. Die müssen Sie selbst erleben. Es gibt so manches im Leben, was man meint, im Kopf, theoretisch, abmachen, lernen zu können. Und dann staunt man irgendwann, wenn man etwas älter geworden ist, daß gewisse Erlebnisse selbst durchgemacht werden müssen, und sie eben doch etwas anders sind, als man es sich so theoretisch zuvor gedacht hatte.

Empirische Sozialforschung - damit Erkenntnisse aus der Beobachtung sozialer Wirklichkeit - muß erfahren werden. Das war die Geschichte von dem emporos der Antike, der als Händler und Großkaufmann (im Unterschied zum kapellos, dem Kleinhändler für den Endverbraucher), durch die weite Welt gefahren ist, um Handel zu treiben und damit so manches an Erfahrung – empireia – mit nach hause gebracht, und dann davon erzählt, nicht nur über Bilanzen berichtet hat, wie es die Wirtschaftswissenschaften nur allzu oft gerne vordergründig lehren.

 

Etwas zur Informationsdichte in unserem Kurs:

Die wurde von verschiedenen Seiten, nicht nur teilnehmer-seitig, bemängelt. Wer die Übungen des Montags und die Erläuterungen sowie Ergänzungen dazu vom Mittwoch durchgearbeitet hat, wer gelesen hat, was an Lesehinweisen zu den „Grünen Büchern“ gegeben worden ist, die begleitenden Sonderdrucke – auch die scheinbar überflüssigen Beiträge von Zeitungsausschnitten dazu – sich nicht nur angeschaut, sondern es auch bedacht – also darüber nachdenkend – getan hat, hat sich über Angebotsdefizite des Kurses nicht beklagen können – höchstens davon eher ein bißchen erschlagen, überfordert worden zu sein… Und dann ist man oft ins Tutorium gegangen, aber hinterher anschließend nicht mehr in das, was ich nicht gerne Vorlesung nenne. Denn lesen können, müssen Sie selbst. Ich lese selten vor, und wenn – so sagt man mir – merkt man es kaum, weil ich Sie verführen will, parallel zu meinem Vortragen mitzudenken.

Ich habe meine Vorlesungen bisweilen – ironisierenderweise, wie das so bei mir hin und wieder vorkommt – als Zusatzveranstaltungen, die Tutorien ergänzend, bezeichnet. Vorlesungen im Zeitalter moderner Informationsmedien sind anachronistisch. Lesen Sie HES V, „Empirische Methodenwirklichkeiten“, w180.7.  Da geht es um story telling. Ich habe das oft Exegese genannt. Lesen Sie dazu HES VI „Etymologie der Terminologie“ e-t-.39. Oft habe ich den Vormittag auch eingeleitet mit der – scheinbar – hilfeheischenden, scheinbare Unvorbereitetheit suggerierenden,  Frage, was man denn so heute machen wolle. Was sollte das, wo es in der Vorlesung selbst nur exegetisches, unterhaltsames gegeben haben soll?

Das war, im Unterschied zu den mehr Übungen als Lernkontrollen am Montag gegen Mittag, echte Lernkontrolle: Wenn Sie es verstanden haben, so ahnungsweise jedenfalls, dann hatten Sie das Erfolgserlebnis des gelernt habens – nein, daß Sie es erfahren und begriffen haben.

Da habe ich Sie regelmäßig heraus-gefordert, Ihr Verständnis ge-fordert, eigentlich Ihr mit der Zeit erworbenes Verständnis aus Ihnen heraus-gefordert (man denke an die eigentliche Bedeutung von Examen, examinieren, was eben nicht bedeutet, einem Kandidaten klar zu machen, was er nicht weiß, ihn zur S.. zu machen). Gut, zugestanden, bisweilen habe ich Sie auch etwas – durch opake Kryptik  gewissermaßen – über-fordert. Das nennt man Anregungen geben zum weiterdenken, durchaus im doppelten Sinne des weiter denkens. Für Fans der Logik von Sprache: das weiter läßt sich temporal wie lokal verstehen, am besten beides.

 

Wir (das KBK als KursBetreuungsKollektiv) haben uns gefreut, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Wir haben von Ihnen gelernt. Viele haben auch von uns gelernt, und – in aller Bescheidenheit – auch von mir und meiner, für manche und manchmal, etwas gewöhnungsbedürftigen Art der Veranstaltungs-Gestaltung. Manche haben das durchaus geschätzt, zu schätzen gelernt am Ende, andere nun wirklich nicht, aber sie haben sich nun mal auf mich eingelassen.

 

Schauen wir doch mal, zum Schluß der Betrachtung, was einige von Ihnen, ihre postklausuralen Emotionen ausdrückend, so vermerkt haben, wie es in der Datenerhebung unmittelbar nach der Klausur erforscht worden ist:

 

Wei soz bac (davon hat es 31 gegeben):

„…Eigentlich habe ich die Logik des Kurses viel später erfahren (nach der 9.Übung [von 13])“

 

Wei pol bac (davon hat es 34 gegeben):

„Ich habe die pädagogischen Intentionen des Veranstalters zu spät begriffen. […] Könnte ich die Zeit zurückdrehen, wäre ich definitiv eine erfolgreichere Teilnehmerin von FK1. Schade!!!“

 

Wei pol bac (davon hat es 34 gegeben):

Im nachhinein waren Materialien und anderes doch sehr hilfreich und enthielten die essenziellen Informationen“

 

Mae pol bac (davon hat es 46 gegeben):

„Dieser FK1-Kurs war eine bemerkenswerte Erfahrung. Und es war die richtige Entscheidung, ihn zu wählen“

 

Mae pol bac (davon hat es 46 gegeben):

„Hoffentlich hab ich die Klausur bestanden, damit ich diesen bekloppten Kurs nicht mehr besuchen muß!“

 

Wei soz bac (davon hat es 31 gegeben):

„Bis nächstes Semester FK1 J

--- [Nein, wei soz bac hatte „FK2“ geschrieben!]

 

Mae pol bac (davon hat es 46 gegeben):

„Genießen Sie Ihre Rente, falls sie denn mal kommt“

--- [Da fragt sich rt (nicht), wie das gemeint sein könne; schließlich nähert er sich jeden Tag mehr seinem Rentensein.]

 

rt

10.Februar 2010 (Überarbeitung vom 14.2.)




Aus HES V, "Empirische Methodenwirklichkeiten", w180.7

SPIEGEL: Wie schaffen Sie diese Atmosphäre?
SCHEER: Über Storytelling. Ich erzähle denen von meinem Leben [...]
SPIEGEL: Und die Studenten denken sich:
Der Alte erzählt wieder Geschichten, und wir müssen am Ende Klausuren schreiben.
SCHEER: Die Inhalte der Vorlesungen haben wir für die Studenten im Internet aufbereitet.
Die wissen, sie müssen nicht in meine Vorlesungen kommen. Die kommen wegen der Stories und wegen der Diskussion: reines Stoff-Vermitteln in einem Hörsaal ist doch anachronistisch.
SPIEGEL: Was muß also passieren, damit [...]

Der gesamte Beitrag w180 auch nachlesbar in
"Nachtrag einer Art Grundsatzerklärung zur Kursmitte"
angesichts eines überfüllten und (fast) hoffnungslos immobilen Grundkurses GM2 im Winter 2003/04

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